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Video: R Raymon TrailRay 140 E 7.0 vs. HardRay E 6.0
Während ihrer Testfahrt über Stock und Stein haben Christof und Wanja die Kamera laufen lassen und berichten uns von ihren Erfahrungswerten mit den e-Mountainbikes. Was sie zu Komponenten wie Federung, Schaltung, Bremsen oder Motor zu sagen haben, schaust du dir am besten direkt selbst an:
Ausstattungsmerkmale des R Raymon HardRay E 6.0
e-Hardtail gegen e-Fully – Was schlägt sich bei R Raymon besser auf dem Papier? Beide Modelle haben den gleichen Motor (Yamaha PW X2), die gleiche Akkukapazität (630 Wh) und die gleiche Schaltung (Deore 10-fach) sowie eine ähnliche Geometrie. Preislich ist das HardRay 6.0 mit 3.599 € bei R Raymon das Topmodell unter den e-Hardtails. Für 4.299 € bieten die Schweinfurter ihr günstigstes e-Fully an, unser Testrad, das TrailRay 140 E 7.0. Im direkten Preisvergleich hat das e-Hardtail gegen das e-Fully die Nase vorn.
Zusammen mit meinem „Belchenradler“-Teamkollegen Wanja habe ich mich im schönen Südschwarzwald auf eine ausgiebige Testfahrt begeben und beide Kandidaten genau unter die Lupe genommen. Wanja ist Trial- und Dirtbiker, liebt Sprünge und jede Form von Action. Ich selbst bin Tourenfahrer und suche das Naturerlebnis auf Naturtrails. Wir entstammen nicht nur zwei verschiedenen Generation, sondern sind auch zwei unterschiedliche Fahrertypen. Ich bin gespannt, wie wir beide die Räder am Ende der Testfahrten beurteilen. Zu Beginn unseres e-Mountainbike Tests widmen wir uns dem e-Hardtail. Die wichtigsten Spezifikationen kurz und knapp:
- Laufradgröße: 29 Zoll
- Rahmen: 29 Zoll Alurahmen mit integriertem Akku
- Motor: Yamaha PW X2 (80 Nm)
- Akku: Simplo EnergyTube (630 Wh, entnehmbar aus dem Unterrohr)
- Display: Yamaha Display A, LCD-Display
- Gabel: SR Suntour XCM34, 120 mm (Stahlfedergabel mit Preload Anpassung und Lock-Funktion
- Schaltung: Shimano Deore 10-fach, mit 38er Kettenblatt und einer 11-43 Kassette
- Bremsen vorne und hinten: Clarks M2, hydraulische Zweikolbenbremse
- Reifen: Continental Cross King 2,3 x 29
Der erste Eindruck vom R Raymon HardRay E 6.0
Angekommen im schönen Münstertal, beim Kloster St. Trudpert, nehmen wir das HardRay 6.0 vom Träger. Im direkten e-Fully oder e-Hardtail Vergleich ist es spürbar leichter als das e-Fully. Das e-MTB sieht stimmig aus und sagt uns auf den ersten Blick zu. Der helle Grauton wirkt dezent sportlich. Gut dosierte Farbtupfer in Orange zieren das Bike – alles andere als langweilig. Alternativ gibt es das 6.0 auch in einem kräftigen Blauton mit weißen Applikationen. Wer sich für ein e-Hardtail dieser Kategorie entscheidet, nutzt sein Bike nicht nur für sportliche Touren, sondern auch als Daily-Cruiser für den täglichen Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen. Zweifingerbremshebel, eine wartungsarme Stahlfedergabel, ein 38er Kettenblatt und Aufnahmen für Schutzbleche sowie ein Seitenständer am Hinterbau zeigen, dass R Raymon mit dem HardRay auch die Daily Driver als Zielgruppe im Blick hat.
Zum Preis von 3.599 € darf man im Jahr 2022 keine High-End-Ausstattung bei einem e-MTB erwarten. Die Komponenten sind überwiegend einfach und funktional. Die verbaute Stahlfedergabel hat keinen Sag-Ring und so montieren wir einen Kabelbinder am Tauchrohr, um bei der Testfahrt zu sehen, wieviel Federweg in welcher Situation freigegeben wird. Wanja und ich sind eher Leichtgewichte: Wir wiegen beide um die 70 Kilogramm. Über die einstellbare Vorspannung der Feder (Preload) ließe sich die Gabel noch etwas auf das Körpergewicht anpassen. Wir belassen es bei der Werkseinstellung und kommen ruhig im Bike stehend so auf 20 Prozent Sag. Das passt. Als Reifendruck wählen wir 1,6 bar vorne und 1,8 bar hinten. Los geht’s!
Die Probefahrt
Nachdem e-Mountainbike Geometrien die letzten Jahre immer länger und flacher wurden, bevorzugen Wanja (192 cm) und ich (183 cm) inzwischen kleinere Rahmen. So entscheiden wir uns für Rahmengröße M. Die Sitzposition ist eher aufrecht und bequem als gestreckt sportlich. Ich fühle mich direkt wohl im nicht zu langen Bike (Radstand 122 cm), das sich wendig und verspielt zeigt. R Raymon bietet das HardRay wahlweise als 27,5 Zoll oder 29 Zoll e-MTB an. Klasse!
Reifen und Bremsen
Das Abrollgeräusch der schmalen 29 x 2,3“ Continental Cross King-Reifen ist auf Asphalt angenehm leise und damit voll alltagstauglich. Ich nutze den ersten Kilometer auf Asphalt, um die Bremsen einzufahren. Lange „Zweifingerbremshebel“ gehören meiner Meinung nach eher an ein City e-Bike oder ein e-Trekkingrad, nicht an ein e-Mountainbike. Nach dem Einbremsen nehme ich zur Kenntnis, dass die Zweikolbenbremsen nicht so richtig giftig zubeißen wollen.
Motor und Steuerung
Vom asphaltierten Radweg geht es nun die nächsten Kilometer moderat bergauf. Für entspannte Bergtouren dieser Art scheint das HardRay wie gemacht. Somit genießen wir die herrliche Naturlandschaft im Münstertal. Das Herzstück eines jeden e-MTBs ist stets der Motor mit seiner Steuerung. Hier überzeugt der bewährte Yamaha PW X2 Motor auf voller Linie. Der 80 Nm starke Antrieb schiebt direkt von unten heraus bärenstark an. Und dies mit dezenter Geräuschkulisse. Fünf verschiedene Unterstützungsstufen, plus Automatikmodus, wirken fast etwas zu viel des Guten. Sie ermöglichen mir eine sehr feine Abstufung. Entspannt, und ohne Schweißperlen auf der Stirn, geht es bergauf und wir genießen die Schwarzwaldidylle. Das Display A von Yamaha ist ergonomisch gut erreichbar links am Lenker angebracht und lässt sich einfach und intuitiv bedienen. Es ist die perfekte Kommandozentrale. Alle wichtigen Daten wie Unterstützungsstufe, Geschwindigkeit und Reichweite sind direkt ablesbar.
Die Schaltung
Die Schaltperformance der Shimano Deore lässt keine Wünsche offen. Gangwechsel verlaufen sehr geschmeidig. Die Frage aller Fragen: Reicht die Übersetzungsbandbreite für richtig steiles Gelände aus? Die verbaute 10-fach Deore Schaltung ist günstig, stabil und verschleißarm, bietet aber in den Bergen naturgemäß keine wirklich kleinen Gänge. Erschwert wird dies beim HardRay durch ein riesiges 38-Zähne-Kettenblatt. Die Entwickler des HardRay haben da wohl eher die Alltagsnutzer im Blick als jemanden wie mich, der gleich 500 Höhenmeter im Schwarzwald eine teils über 20 prozentige Steigung absolviert. In meinem Kopfkino läuft schon das Drehbuch zu einem Horrorfilm: Belchenradler als Testfahrer, der sein e-MTB den Berg hochschiebt. Ein echter Albtraum!
Was zunächst Kopfzerbrechen bereitet, sind die alltagstauglichen, aber wenig profilierten, Cross-Ray-Reifen am Hinterrad. Wenn das Hinterrad bei über 20 Prozent Steigung auf losem Untergrund nur ein Mal richtig durchrutscht, ist die Fahrt beendet.
Der Joker namens Yamaha PW X2
Wir erreichen den letzten Bauernhof im Münstertal. Der befestigte Fahrweg ist damit zu Ende. Jetzt wird wir es ernst. Eine echte Rampe baut sich vor uns auf. Kühe weiden hier keine mehr. Das ist echtes Ziegengelände! Intuitiv schalte ich hoch, aber der kleinste Gang ist schnell erreicht. Auf der heutigen Tour bin ich die meiste Zeit im Automatik-Modus gefahren.
Ich setze alles auf eine Karte und spiele meinen Joker aus: den EXPW. So nennt sich die stärkste Unterstützungsstufe bei Yamaha. Der 80 Nm PW X2 schiebt mich damit stark genug an, um bergauf loses Gestein, Wasserrinnen und andere Hindernisse zu überrollen. Dank EXTREM POWER (EXPW) sind Geschwindigkeiten im Anstieg realisierbar, bei denen meine Trittfrequenz auch mit der großen 38 11-43 Übersetzung wieder aus dem Keller kommt. Dass ich mit dem R Raymon HardRay 6.0 so souverän den Berg hoch komme, hätte ich wirklich nicht erwartet. Meine Sorgen waren unberechtigt. Jetzt kann ich entspannen und bekomme ein Grinsen ins Gesicht.
Auch die schmalen, wenig profilierten CrossRay-Reifen, haben ihren Job erstaunlich gut erledigt. Das HardRay klettert, wenn nötig, wie eine Ziege ohne nennenswerten Wheelspin. Dank langer Kettenstrebe (485 mm) und steilem Sitzwinkel (74 °) klettert es auch ohne steigendes Vorderrad. Die erste Challenge wäre geschafft! Oben auf 800 m angekommen genießen wir einige Minuten die Aussicht ins Münstertal. Dann geht es weiter zur zweiten Challenge. Die meisten Hardtailfahrer würden jetzt sicher auf einen moderaten Weg Richtung Berggasthaus Kohlerhof abbiegen. Wir wollen aber noch höher aufsteigen, zur Sonnhalde. Für mich ein echtes Schwarzwald-Highlight mit Panorama-Blick bis zu den Vogesen. Das einzige Problem: Der Naturweg dahin ist nicht nur steil, sondern auch immer wieder mit massiven Wurzelteppichen übersät, wie ich sie sonst nirgendwo im Schwarzwald kenne. Die Frage “e-Fully oder e-Hardtail” wird jetzt präsent. Mit einem e-Fully bügelt man notfalls einfach darüber. Mit dem e-Hardtail wird es eine spannende, fahrtechnische Herausforderung.
e-Fully oder e-Hardtail: Fahren im Grenzbereich
Los geht’s. Die ersten 20 cm hohen Wurzeln bergauf sind noch einzeln. Ich hebe das Vorderrad leicht an und kann sie gut überrollen. Doch nun kommen die berüchtigten Wurzelfelder. Meine Augen scannen das Wurzel-Labyrinth ab und suchen nach der bestmöglichen Linie zum Fahren. Es gibt keine Linien ohne große Wurzeln. Dennoch gelingt es mir, die schlimmsten zu umfahren.
Die Wurzeln liegen jetzt so dicht aneinander, dass das Hinterrad schon in die Erste reinkracht während man mit dem Vorderrad gerade die Zweite in Angriff nimmt. Bähm, bähm, bähm – stehend pedaliere ich im Rodeo-style über die Wurzelberge und kann mich nur noch mit Mühe auf den Pedalen halten. Jede Wurzel schlägt erbarmungslos auf den Fahrer durch. Mit guten e-Fullys bin ich diese Passagen schon öfter gefahren, aber für das HardRay 6.0, mit der einfachen Stahlfedergabel, scheint dieses Terrain etwas „too much“. Wanja, der auf dem 140 mm R Raymon TrailRay Fully mitfährt, hat hier gut lachen. Für ihn stellen die Wurzelteppiche keine Herausforderung dar. Mehr dazu berichten wir im folgenden TrailRay-Testbericht, wo auch ein abschließendes Fazit im Kampf e-Hardtail gegen e-Fully gefällt wird).
Das HardRay 6.0 ist eher für Schotter- und Forstwege gemacht sowie für einfache Trails. Nach 1-2 Kilometern werden die Wurzeln weniger und es ist geschafft. Die Sonnhalde entlohnt uns mit einem Bilderbuchpanorama vom Feinsten und wir nutzen die Traum-Location zum Fotografieren und Filmen unserer e-MTBs. Auf dem Rückweg geht es bergab mit gelegentlichen Gegenanstiegen. Da das HardRay 6.0 keine Teleskop-Sattelstütze besitzt, wähle ich eine Mittelstellung, mit der ich in ebenen Passagen und bergauf noch pedalieren kann, bei Stufen und Wurzeln bergab aber auch schnell hinter den Sattel komme.
Auf dem ausgewachsenen Naturtrail überrolle ich mit dem HardRay 40 cm Stufen bergab ohne Probleme. Der Lenkwinkel von 67° passt perfekt zu diesem Hardtail. Er vermittelt Sicherheit bergab, ohne das Bike allzu sperrig und lang zu machen. Klar reagiert die Stahlfedergabel nicht hochgradig sensibel auf Hindernisse, sie taucht aber auch nicht zu tief ein. Am Ende unserer Tour wird mein Kabelbinder am Tauchrohr zeigen, dass ich gut 80 % des verfügbaren Federwegs genutzt habe. Das ist in Ordnung. Das HardRay ist gemacht für Tourenfahrer, es ist kein Bike zum „Ballern“. Wer bergab nicht besonders schnell unterwegs sein muss, kommt damit sehr gut zurecht. Auf den letzten Kilometern talwärts werden die Wege wieder einfacher und weniger technisch anspruchsvoll. Hier ist das R Raymon HardRay 6.0 voll und ganz in seinem Element. Wendig wie ein Wiesel stürmt es los und punktet im Rennen von e-Hardtails gegen e-Fullys.
Fazit zum R Raymon HardRay 6.0
Das HardRay 6.0 kann exakt das, wofür es gedacht ist. Mit seiner Option für Schutzbleche und Seitenständer sowie der bequemen Geometrie ist es zu 100 Prozent alltagstauglich. Reifen und Übersetzung sind perfekt auf den Daily-Driver abgestimmt. Als e-Hardtail mit 10-fach Schaltung ist es wartungsarm und die Verschleißteile sind günstig. Wer sich für ein HardRay 6.0 entscheidet, erhält darüber hinaus den Yamaha PW X2 Motor. Dieser gehört zweifellos zu den top Motoren im e-MTB-Bereich.
In Kombination mit dem Display A und einem großen 630 Wh Akku lässt dies kaum Wünsche offen. Limitierend für einen härteren Einsatz im Gelände sind die einfache Stahlfedergabel, eine fehlende Teleskop-Sattelstütze sowie die nicht besonders bissigen Bremsen. FahrerInnen, die überwiegend auf Asphalt oder einfachen Naturwegen und Trails unterwegs sind, dürfte dies alles nicht weiter stören. Wer sich für das formschöne e-Hardtail interessiert, sollte beim Händler seines Vertrauens eine Probefahrt machen.
Hat sich das e-Hardtail oder das e-Fully besser geschlagen? Eine abschließende Antwort auf diese Frage und wie das TrailRay 7.0 e-Fully im Vergleich zum HardRay abschneidet, erfahrt ihr schon bald im nächsten Testbericht!
Danke an die e-Bike Experten von e-motion e-Bike Welt Freiburg Süd, die mir das des R Ramon HardRay 6.0 bereitgestellt haben!
Euer „Belchenradler“ Christof Steier
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